VersaCommerce Team

"Todesstern des E-Commerce gesichtet": Amazons fliegendes Warenlager

Zum Jahresende wurde bekannt, dass Amazon ein Patent für fliegende Warenlager in einer Art gigantischem Zeppelin mit luftgestützter Drohnenauslieferung angemeldet hat. Ist diese Idee visionär oder verrückt

(Ein Kommentar von Frank Zimmermann)

Wäre die Meldung nicht zwischen Weihnachten und Silvester, sondern am 1. April publik geworden, so hätte sicher der eine oder andere von uns gedacht: "Ja, ist klar, April, April.!" Und ich gebe offen zu, dass auch ich erstmal die zweite, dritte und vierte Veröffentlichung abgewartet habe, bevor ich das, was da zu lesen war, für bare Münze genommen habe. Am Anfang stand ein dramatischer Tweet der New Yorker Tech-Journalistin Zoe Leavitt: "Ich habe gerade den Todesstern des E-Commerce entdeckt". In der Folge wurde von vielen Medien gemeldet, dass Amazon bereits vor geraumer Zeit ein Patent auf ein fliegendes Warenlager angemeldet habe, das aus einer Höhe von 14 Kilometern Drohnen zur Belieferung von Kunden losschicken könne. Da fragt man sich natürlich schon, ob das eine visionäre oder schlicht verrückte Idee ist. Das fliegende Klassenzimmer kennen wir als Kinderroman von Erich Kästner, aber ein fliegendes Warenlager? Betrachten wir die Pläne von Amazon einmal etwas näher, fragen uns, ob sie realistisch oder irre sind, und, wenn sie tatsächlich verrückt sind, warum die Truppe von Jeff Bezos so eine Aktion vom Zaun bricht. Auf geht's!


So soll das fliegende Warenlager aussehen... (Bild: United States Patent 9.305.280)

... und so soll das fliegende Warenlager funktionieren

Es klingt schon ein wenig wie Science Fiction: Das von Amazon zum Patent angemeldete Airborne Fulfillment Center (AFC), so die offizielle englische Bezeichnung für das fliegende Warenlager, ist im Kern ein zeppelinartiges Luftschiff, das in 14 Kilometern Höhe als Warendepot und gleichzeitig Drohnenmutterschiff stationiert und eingesetzt werden soll. An Bord befinden sich den Plänen folgend Mitarbeiter, Auslieferungsdrohnen und eben die Waren, von denen vermutet wird, dass sie am gewählten Einsatzort stark nachgefragt werden. Als Einsatzorte machen voraussichtlich nur bevölkerungsreiche städtische Ballungszentren oder temporäre Ballungszentren wie zum Beispiel ein Sportstadion Sinn. Da könnte also beispielsweise ein AFC über dem Austragungsort des Super Bowl, dem Finale der Meisterschaft im American Football mit dem Stellenwert eines nationalen Feiertages in den USA, schweben und die Fans last Minute mit Artikeln ihres Lieblingsteams versorgen.

Die Bestückung eines AFC soll laut den Planungen vom Boden aus mit kleineren Luftschiffen erfolgen, die als Shuttles agieren. Die Auslieferung der Waren übernehmen dann Drohnen, die sich neben den Waren im Mutterschiff befinden, und ihre Adressaten am Boden im Sinkflug in Windeseile erreichen.

Klingt das für euch immer noch wie eine Ente? Das verstehe ich, aber die beschriebenen Pläne sind keine Ente. Amazon hat die Veröffentlichungen zum fliegenden Warenhaus zwar wie üblich nicht bestätigt, aber eben auch nicht dementiert. Die nach außen gedrungen Informationen stammen aus Dokumenten der US-Patentbehörde. Das Patent existiert.

Wie realistisch sind diese hochfliegenden Pläne?

Das Echo der allermeisten Experten auf die beschriebene Vision war recht eindeutig. Die Pläne seien auf absehbare Zeit nicht realistisch und in die Praxis umsetzbar. Die verlautbarten Hauptgründe für diese Skepsis sind zahlreiche ungelöste technische Probleme, unbeantwortete Sicherheits- und Genehmigungsfragen, Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Modells und noch einiges mehr. Ohne den Miesepeter geben zu wollen, schließe ich mich ausnahmsweise einmal der Mehrheitsmeinung an. Wenn schon die "normale" Drohnenlieferung an Genehmigungsgrenzen stößt, wie soll dann ein solches Mutterschiff mit einer Vielzahl von Drohnen an Bord über den Köpfen von zigtausend Leuten ein Placet der Behörden erlangen? Für mich ist das aktuell und auf Sicht nicht vorstellbar. Um an dieser Stelle schon einmal die eingangs von mir selbst gestellte Frage zu beantworten: Das Projekt ist vielleicht visionär, aber aus heutiger Sicht ganz sicher auch zumindest ein wenig verrückt. Aber bitte, wenn ihr das anders beurteilt, schreibt es uns bitte. Danke.

Warum macht Amazon so etwas?

Wenn die Fachwelt sich also überwiegend darüber einig ist, dass das Modell von AFC aus technischen und regulatorischen Gründen kurz- und mittelfristig nicht in die Praxis des E-Commerce umsetzbar ist, dann stellt sich natürlich eine Frage. Warum investiert das Unternehmen Amazon, das in unserer Community nicht gerade für Verschwendungssucht bekannt ist, erhebliche Ressourcen in ein solches Forschungs- und Entwicklungsprojekt und bringt es sogar zur Patentanmeldung?

Für eine reine PR-Aktion, das ist meine Überzeugung, ist das ganze Projekt zu aufwändig und wohl auch zu kostenintensiv. Das besagte Patent wurde bereits im April 2016 angemeldet. Es gab damals keinerlei Kommunikation von seiten des Unternehmens. Ob das Bekanntwerden der Pläne jetzt in der traditionell nachrichtenarmen Zeit zwischen Weihnachten und Silvester bewusst über ein gewolltes Leck bei der Patentbehörde lanciert wurde, sei einmal dahingestellt. Fest steht auf jeden Fall, dass Amazon mit diesem Thema im Gespräch war und ist.

Die Vision des fliegenden Warenlagers befeuert jedenfalls die Reputation von Amazon als Innovationsführer der E-Commerce-Branche. Wir haben hier schon mehrfach darüber berichtet, dass der E-Commerce-Riese aus Seattle "Hans Dampf in vielen Gassen" ist. Und das gilt insbesondere für die Optimierung der Logistik.

Es steckt wohl mehr dahinter als pure PR. Und an dieser Stelle fällt mir das Jeff-Bezos-Prinzip ständiger Innovationsversuche ohne Angst vor Rückschlägen ein. Dieser Mann ist ein überzeugter Innovator, der ohne zu zögern Geld in die Hand nimmt (ok, sein Unternehmen hat auch mehr als genug davon), um visionäre Ideen voranzutreiben, die so manchem als verrückt erscheinen mögen. Analog zur Raumfahrtforschung hegt er vielleicht die Hoffnung auf "Abfallprodukte" für das Tagesgeschäft? Ich weiß es nicht wirklich, sorry.

Ein Basisthema bei Amazon ist aber schon seit Jahren die immer schnellere Auslieferung von online bestellten Waren. Und, like it or not, da ist die Bezos-Truppe ganz weit vorne und sie scheint gewillt, ihre Spitzenposition nicht nur zu halten, sondern sogar weiter auszubauen.

Was bedeutet das fliegende Warenlager für euer Geschäft?

Da könnte ich jetzt ganz locker sagen: Gar nix - das ist Musik, die vielleicht irgendwann in der Zukunft einmal gespielt werden wird. Konkret ist das sicher auch erst einmal so. Das mag den einen oder die andere unter euch zunächst oberflächlich beruhigen. Aber Obacht: Es wäre für jeden Akteur, der im E-Commerce sein Geld verdient, schlichtweg töricht, thematische Schwerpunkte, die der Marktführer setzt, locker und selbstgefällig zu ignorieren, nur, weil sie sich heute wie Phantastereien aus einer fernen Zukunft anhören.

Das unter der Oberfläche des AFC-Patents latent schlummernde Thema lautet: Optimierung und Diversifizierung der Lieferoptionen im Online-Handel. Und das geht euch mit Sicherheit alle an. Es wird zwar immer die Kunden geben, für die eine Lieferung der bestellten Ware innerhalb zweier Werktage ok ist. Es wird aber nach meiner Überzeugung auch einen stetig und nicht unerheblich wachsenden Markt bei denjenigen Online-Shoppern geben, die ihr Paket gerne am Tag der Bestellung oder sogar innerhalb weniger Stunden haben wollen.

Fazit

Amazon hat mit dem Patent auf fliegende Warenlager mal wieder mächtig für Gesprächsstoff gesorgt. Egal, ob das jetzt gesteuert war, oder auch nicht: Ich find's gut ... unsere Innovations- und Wachstumsbranche E-Commerce lebt eben auch von Visionen, so abgefahren sie auf den ersten und zweiten Blick auch erscheinen mögen. Und wenn der Innovations-Absender Amazon heißt, dann heißt es ohnehin immer Achtung.

Auch wenn das Patent auf den fliegenden Todesstern für viele von euch weit weg erscheint, möchte ich doch dazu raten, das hinter dem visionären Plan steckende Basisthema Logistik aufmerksam im Auge zu behalten.

Aber nun genug gepredigt. Was denkt ihr, bitte? Sind die Amazon-Pläne für AFC realistisch? Skizzieren sie einen Weg in die Zukunft der Logistik? Sind sie verrückt oder visionär? Bitte teilt eure Experten-Meinungen mit uns.

VersaCommerce kostenlos testen.