Dr. Katja Flinzner
Was haben Twitter, Facebook, Google, Pinterest, Instagram und neuerdings auch Snapchat gemeinsam? Sie alle arbeiten daran, Social Commerce Wirklichkeit werden zu lassen. Ihre „Buy Buttons“ gehören zu den wohl heißesten E-Commerce-Themen des Jahres. Sie werden derzeit fleißig auf allen möglichen
Facebook und Twitter haben schon im vergangenen Herbst erste Gehversuche gemacht, Pinterest und Instagram brachten ihre Pläne Anfang Juni mehr oder weniger zeitgleich an die Öffentlichkeit und Google hat die kurz bevorstehende Einführung vor wenigen Wochen noch einmal bestätigt: Die Buy Buttons kommen! Dass der E-Commerce sich seinen Weg in die sozialen Netzwerke & Co. bahnt, ist wohl nicht mehr zu übersehen und auch nicht aufzuhalten. Aber dass sie den Online-Handel nun von einem Tag auf den anderen revolutionieren werden, ist auch nicht zu erwarten.
Wir verbringen immer mehr Zeit in sozialen Netzwerken wie Facebook, Pinterest und YouTube. Kein Wunder also, dass der Handel schon lange versucht, direkt vor Ort Kunden auf sich aufmerksam zu machen. Der erste Schritt in der Instrumentalisierung sozialer Netzwerke für den Online-Handel waren Werbeanzeigen, kurz Ads. Die gibt es inzwischen schon eine ganze Weile und werden je nach Netzwerk mal mehr, mal weniger gezielt auf die Benutzer zugeschnitten. Doch vom Klick auf eine Ad bis zum Checkout ist es noch ein weiter Weg und ein Großteil der Kunden springt irgendwo auf diesem Weg wieder ab.
Besonders viele Abbrüche sind bei Kunden zu verzeichnen, die auf mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets unterwegs sind. Kein Wunder, denn das Laden von umfangreichen Produktbeschreibungen und das Navigieren durch mehrere Checkout-Seiten ist meist ziemlich zeitaufwendig und nervtötend. Könnte man nicht viel mehr Kaufabschlüsse erreichen, wenn man das in der Anzeige vorgestellte Produkt direkt mit ein oder zwei Klicks bestellen könnte? Na klar könnte man – vor allem deshalb, weil die meisten auf diese Weise begonnenen Bestellprozesse Impulskäufe sind, die aus einer „Gefällt mir“-Laune heraus entstehen. Je länger der Kunde darüber nachdenkt, desto größer die Gefahr, dass er wieder abspringt. Ein möglichst zügiger Checkout ist also nicht nur bequemer für den Kunden, sondern auch von bedeutendem Vorteil für den Händler.
Einkaufen auf Twitter. Sieht doch ganz einfach aus, oder? (Video: Twitter)
Womit wir wieder beim „Buy Button wären“ – und bei einem der entscheidenden Gründe, warum diese meist nicht in der Desktop-Version, sondern in den Mobile Apps der diversen sozialen Netzwerke ihre ersten Schritte gegangen sind oder gerade gehen. Impulskäufe möglichst schnell und unkompliziert zum Checkout bringen, das ist das vorrangige Ziel der neuen Buttons. Und in dem sind sich Netzwerke und Händler grundsätzlich einig. Die teilnehmenden Händler können den Vorteil einer bestehenden Plattform nutzen, auf der sich ihre Kunden ohnehin herumtreiben. Und die Netzwerke erarbeiten sich damit einen weiteren Grund, warum man möglichst noch mehr Zeit mit, in oder auf ihnen verbringen sollte: Man muss sie ja noch nicht einmal mehr zum Einkaufen verlassen!
Wenn die Vorteile so auf der Hand liegen, warum ist die Entwicklung dann doch eher langsam?
Nun ja, wie schon vor kurzem in unserer Multi-Channel-Serie deutlich geworden ist: Wer über verschiedene Kanäle verkauft, muss auch die entsprechende Infrastruktur dazu mitbringen. Wenn ihr das blau-weiß gestreifte Kleid, das in der Facebook-Werbung so gut ankommt, direkt über den Facebook-Button verkauft: Wie wird es bezahlt? Woher bekommt ihr die Lieferadresse? Und woher weiß eure Warenwirtschaft, dass ihr ab sofort eins weniger auf Lager habt? Die Verknüpfung eines solchen Absatzkanals mit einer bestehenden Shop-Infrastruktur ist nicht ganz trivial.
Die ersten Testläufe, die die diversen Netzwerke zurzeit fahren, konzentrieren sich deshalb auf genau diese Fragen, die im Händleralltag über Wohl und Wehe entscheiden können. Dabei sind die konkreten Einzelfragen, die sich daraus ergeben, noch lange nicht beantwortet. Und die Netzwerkbetreiber gehen zum Teil sehr unterschiedliche Wege.
Bei Twitter werden in den seit September 2014 laufenden Beta-Tests Zahlungs- und andere Bestelldaten beim ersten Einkauf von Twitter selbst abgefragt, für spätere Einkäufe gespeichert und dann zusammen mit der Bestellung an den Händler weitergeleitet. Für die Abwicklung der Zahlung arbeitet Twitter mit dem Payment Provider Stripe zusammen – der kurze Zeit später auch seine Kooperation mit Facebook ankündigte. Wie die Bestellungen dann an den Shop gelangen und wie der sie intern verarbeitet, ist eine andere Frage.
Bei Facebook und Pinterest wiederum wurde nach den ersten Tests mit ausgewählten Händlern ein Weg eingeschlagen, der sich besonders gut eignet, die Tücken des Händleralltags zu umschiffen: die direkte Anbindung der Buy Buttons an ein Shopsystem. Das ist in einer Beta-Phase mit ausgewählten Händlern nun bei beiden Anbietern für Shopify-Händler möglich. Zweifelsfrei wird das Verbreitungstempo der Buy Buttons zu einem entscheidenden Teil davon abhängen, wie gut eine solche Integration funktioniert und wie viele gängige Shopsysteme sie ermöglichen.
Zu Instagram gibt es bislang noch die wenigsten konkreten Aussagen – da die Plattform zu Facebook gehört, steht allerdings zu vermuten, dass die Buy Buttons ähnlichen Wegen folgen werden wie auf Facebook.
Neben der Zahlungsthematik und der Warenwirtschaftslogistik gibt es noch einen weiteren Aspekt, der einige Händler davon abhalten wird, auf den Buy-Button-Zug aufzuspringen. Denn spontane, isolierte Impulskäufe sind lange nicht für alle Produktgruppen interessant. Wer eher niedrigpreisige Produkte mit geringen Margen verkauft, wird sich über eine Zunahme von Einzelbestellungen nur eines einsamen Produktes kaum freuen – was Handling und Buchhaltung nicht auffressen, bleibt im Zweifel in Versand- und Retourenkosten hängen. Alle Cross-Selling-Strategien würden aber wiederum das „Click & Go“-Prinzip der Buy Buttons untergraben und dem grundlegenden Prinzip zuwiderlaufen. Ein Grund mehr, warum das Interesse an der Nutzung von Buy Buttons von Branche zu Branche sehr unterschiedlich sein wird.
Eine theoretisch mögliche Entwicklung, die hier und da als Schreckensszenario für Händler an die Wand gemalt wird, betrifft eine Gruppe, für die knappe Margen kein Problem sein dürften: die Hersteller. Grundsätzlich klingt der Gedanke, sich als Hersteller an Großhändlern und Shops vorbei direkt in Endkundenkanäle einklinken und dort in schlanken Prozessen seine eigenen Produkte verkaufen zu können, durchaus verlockend – und natürlich wie eine Horrorbotschaft für Zwischenhändler. In der Realität dürfte das Interesse aber geringer sein als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Denn das reine Verkaufen ist im Einzelhandel ja nur der Anfang eines durchaus komplexen Prozesses, auf das sonst an Großhändler verkaufende Hersteller überhaupt nicht ausgerichtet sind. Die wenigsten Hersteller werden Lust haben, eine entsprechende Infrastruktur für Versand, Zahlungs- und Mahnwesen, Kundenkommunikation, Reklamation und Retourenabwicklung von kleinvolumigen Einzelbestellungen aufzubauen. Zumindest müsste die reine Masse und die tatsächliche Konversion solcher Absatzwege dafür noch ganz andere Sphären erreichen.
Last but not least bleibt natürlich gerade in Deutschland noch eine weitere Frage zu klären: Lassen sich die recht strengen Verbraucherrechtsregularien mit dem „Schnell gekauft“-Prinzip der Buy Buttons überhaupt vereinbaren? In einem auf ein Minimum reduzierten Checkout alle Verbraucherinformationen unterzubringen, dürfte eine Herausforderung für sich sein. Zweifellos eine, für die es Lösungen gibt. Aber dass beispielsweise die aktuell in den USA entwickelten und getesteten Buy-Button-Prozesse sich ohne weiteres auf den europäischen oder speziell den deutschen Markt übertragen lassen werden, ist eher unwahrscheinlich. Und wird in Sachen Abmahnwahn im Zweifel wieder die ein oder andere Welle mit sich bringen.
Wäre doch auch schön, wenn es diesen Button demnächst auf der Tastatur gibt... (Foto: Minerva Studio / fotolia.com)
Werden die Buy Buttons also die Welt des E-Commerce verändern? Ja und nein. Sie bringen derzeit viel in Bewegung, das ist wohl unübersehbar. Genau genommen sind sie aber nur ein weiteres Zeichen für eine Entwicklung, die schon viel früher angefangen hat – nämlich die Entwicklung weg von einem fest definierten Kanal hin zu einer Multi-Channel-Strategie, die alle Kanäle, auf denen potenzielle Kunden sich bewegen, mit berücksichtigt.
Schon jetzt ist das Aufsetzen eines Online-Shops alleine lange nicht mehr ausreichend, um im E-Commerce erfolgreich zu sein. Je alltäglicher die Nutzung des Internets für uns wird, je mehr wir auch von den unterschiedlichsten Geräten aus auf Online-Angebote zugreifen, umso mehr verschwimmen die Grenzen zwischen den Kanälen. Und umso weniger dürfen auch und gerade Online-Händler sich auf der Tatsache ausruhen, dass sie sich bereits im (gar nicht mehr so) „neuen“ Wachstumsmarkt austoben. Die Buy Buttons sind ein sehr deutliches Signal dafür, dass dieser Markt sich in den kommenden Jahren immer weiter verändern wird – eine Revolution in sich sind sie eher nicht.
Panik oder verfrühter Aktionismus sind deshalb nicht angebracht. Offene Augen und Ohren allerdings schon. Denn wer die zahlreichen Marktveränderungen als Händler verschläft, wird irgendwann ähnlich dumm aus der Wäsche gucken wie die großen Handelsriesen, die den Weg von der Fußgängerzone ins Online-Shopping nicht geschafft haben. Und das muss ja nicht sein.