Per Mausklick auf den Teller? Warum der deutsche Lebensmittel-Onlinehandel noch in den Kinderschuhen steckt.
Online-Shops sind aus unserer Einkaufswelt nicht mehr wegzudenken. Alles wird inzwischen via Mausklick gekauft, Bücher und Filme schon lange, Kleidung mit wachsender Begeisterung und inzwischen sogar immer häufiger Möbel. Nur für Milch und Äpfel machen wir uns noch auf den Weg in den Supermarkt. Warum eigentlich?
Dass der Lebensmittel-Onlinehandel in Deutschland (noch) nicht so recht funktionieren will, hat zwei gewichtige Gründe, die sich schlicht nicht ignorieren lassen. Der eine sind die Händler, der andere die Kunden.
Wer verkauft überhaupt online?
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern lässt sich prima beobachten, wie wenig die deutschen Lebensmittelhändler sich bislang mit dem Thema Online-Handel auseinandergesetzt haben. Die britische Tesco-Gruppe hat schon über Online-Kanäle nachgedacht, bevor amazon 1995 an den Start ging. Und in Frankreich eröffnete die Supermarktkette Auchan im Jahr 2000 ihren ersten Drive-In-Markt. Zu dieser Zeit machte ausgerechnet Otto in Deutschland einen ersten vorsichtigen Vorstoß in den Lebensmittelhandel via Internet – um sich mangels Rentabilität schnell wieder zurückzuziehen. Den ersten Drive-In-Markt einer deutschen Supermarktkette eröffnete Metro-Tochter Real genau 10 Jahre später in Isernhagen in der Nähe von Hannover, mit drei Abholmärkten im Rhein-Main-Gebiet folgte kurz darauf REWE. Und in vielerlei Hinsicht hat sich an diesen vorsichtigen Insellösungen bis heute nur wenig geändert. Zum Real-Drive-In in Isernhagen kam genau einer in Köln-Porz dazu, seit wenigen Tagen probiert Real jetzt einen Lieferdienst in Köln aus. Konkurrent Edeka gibt sich große Mühe, seine diversen Online-Angebote für den Kunden möglichst undurchsichtig und unauffindbar zu machen und der Lieferdienst bringmeister.de von Kaiser’s Tengelmann wird demnächst ein Teil des undurchdringlichen Edeka-Dickichts werden. Lediglich REWE nimmt das Thema langsam ernst und hat im August verkündet, "
das größte Online-Unternehmen im Lebensmittelbereich" werden zu wollen. Ein Lieferservice und diverse Abholmärkte sind inzwischen gestartet. Wie gut die Logistik funktioniert und wie das Angebot angenommen wird, wird sich erst in einigen Monaten bewerten lassen.
Die langjährige Zurückhaltung der deutschen Supermarktketten nun auf Technikfeindlichkeit oder eine verschlafene Strategie zurückzuführen, wäre aber zu kurz gegriffen. Denn im deutschen Lebensmittelmarkt wird mit deutlich härteren Bandagen gekämpft als in anderen Märkten. Der Preiskampf ist immens, die Discounter haben eine Marktmacht wie in kaum einem anderen europäischen Land und die Margen liegen mit 1 bis 3 Prozent so niedrig, dass Zusatzkosten für die Lieferung oder Konfektionierung von Bestellungen kaum tragbar sind. Kaum verwunderlich also, dass die großen Ketten, die um die Schwierigkeiten ihres Marktes wissen, sich um hohe Investitionskosten für neue Vertriebswege nicht wirklich gerissen haben. Von den besonderen logistischen Herausforderungen bei der Lieferung von Kühl- oder Tiefkühlprodukten mal ganz zu schweigen.
In den Markt getraut haben sich vor allem ein paar unerschrockene Start-Ups, die sich damit so manches Mal auch heillos übernommen haben. Pionier Froodies zum Beispiel musste 2012 wieder aufgeben, der 2011 gestartete Versender supermarkt.de wurde gerade mal zwei Jahre alt und der langjährige Marktführer gourmondo ging nach Finanzierungsproblemen 2012 an
lebensmittel.de. Andere haben bislang wacker durchgehalten und sich die ein oder andere Finanzspritze gesichert. Nachhaltig am Markt etabliert sind aber weder der von der Bünting Unternehmensgruppe betriebene Online-Vollsortimenter
mytime.de, der inzwischen von DHL unterstützte Lieferdienst
allyouneed.com oder der aktuell als Marktführer gehandelte
food.de – keines dieser Unternehmen ist älter als 3 Jahre.
Und wo kaufen die Kunden?
Ok, wir bestellen inzwischen auch mal unseren Lieblingstee beim spezialisierten Teehändler und stellen uns unsere Frühstücksflocken bei MyMuesli zusammen. Wenn es um Dinge geht, die man nicht überall bekommt, haben wir das Internet durchaus für uns entdeckt, auch im Lebensmittelsektor. Aber der wöchentliche Großeinkauf?
Bei dem steht, wie die Erfolgsgeschichte der Discounter zeigt, das liebe Geld ganz vorne auf der Kriterienliste. Wir Deutschen sind ganz schön knauserig, wenn es um Lebensmittel geht. Wir wollen möglichst günstige Lebensmittel – zumindest kaufen wir in der Masse so ein. Und wir brauchen im Schnitt nur 7 Minuten zum nächsten Supermarkt zu fahren – wozu sollen wir dann online einkaufen und noch bis zu 10 EUR für die Lieferung bezahlen? In Deutschland gibt es so viele Supermärkte wie sonst nirgendwo in Europa – der Faktor Bequemlichkeit, der andernorts als Pluspunkt für Online-Händler arbeitet, verliert damit deutlich an Gewicht.
Günstig sollen Lebensmittel also sein, aber natürlich auch hochwertig und sicher. Das Vertrauen, dass mit den Lebensmitteln, die wir kaufen, alles stimmt, bringen wir vor allem den großen Supermarktketten entgegen, die wir schon lange kennen. Ob REWE, Kaisers und Edeka oder Aldi, Lidl und Penny – den Großen vertrauen wir in dieser Hinsicht am meisten. Online-Pure-Player mögen deshalb für besonders online-affine Gruppen ihren Reiz haben – das Massengeschäft werden sie ziemlich sicher nicht an sich reißen können. Eine relevante Gruppe könnte allenfalls amazon erreichen, wenn denn das fresh-Angebot tatsächlich auf den deutschen Markt kommt. Angesichts der eher langsamen Entwicklung der amazon-Lebensmittelsparte in den USA und der besonderen Härte des deutschen Food-Marktes ist das aber allen Ankündigungen zum Trotz noch lange nicht beschlossene Sache…
Und zu guter Letzt, Vertrauen hin oder her: Unsere Äpfel und Bananen möchten wir am liebsten dann doch selber aussuchen. Sollen die Bananen möglichst reif oder lieber noch fast grün sein? Und was machen wir, wenn die gelieferten Äpfel uns zu runzlig sind? Ein nachhaltig erfolgreicher Online-Lebensmittelhändler wird nicht umhin kommen, Strategien für den Umgang mit individuellen Kundenwünschen und –reklamationen zu entwickeln, denn deutsche Verbraucher sind nicht nur preisbewusst, sondern wissen auch sehr genau, was sie wollen – und was eben nicht.
Bleiben wir also einfach beim Supermarkt um die Ecke?
Ist der Markt also viel zu schwierig und das gesamte e-food-Thema bloß ein Hype? Wohl kaum. Auch wenn viele dem Online-Lebensmittelhandel derzeit kaum einen nennenswerten Marktanteil zutrauen – die Realität wird sich davon wohl kaum beeindrucken lassen. Neue Generationen wachsen mit einem völlig anderen Selbstverständnis und Umgang mit dem Internet auf, es wäre schon sehr merkwürdig, wenn sich das nicht über kurz oder lang auch im Lebensmittel-Einkauf niederschlagen würde. Und auch wenn die heutigen Senioren, die häufig als interessanteste Kundengruppe für Lieferdienste betrachtet werden, vielfach noch nicht viel Vertrauen in Online-Kaufprozesse mitbringen, wird sich das in den nächsten Jahren deutlich ändern – in zwanzig Jahren sind wir vielleicht selber froh, wenn wir für Milch, Eier und Tiefkühl-Spinat das Haus nicht mehr verlassen müssen.
Solange ein Ende der digitalen Revolution nicht in Sicht ist, wird auch in dieser letzten Bastion des stationären Handels der Einzug von Cross-Channel-Anforderungen der Kunden nicht aufzuhalten sein. Es braucht nur vielleicht ein bisschen länger. Und wenn wir irgendwann dann doch vom Sofa aus über’s Tablet Chips und Limo für den nächsten Fernsehabend bestellen, nicht wundern. Es wäre nicht die erste und sicherlich auch nicht die letzte Fehlprognose in der Geschichte des Internets…